Weekender…
Merhaba treue Leserschaft!
langsam mutiere ich zum Mustertürken. Zumindest in Sachen Bartwuchs. Und Kleidungsstil. Siehe Artikel-Foto. Während ich mich darum kümmere, dass man mir keine mangelnde Integrationsbereitschaft unterstellen kann, habe ich auch schon wieder Besuch bekommen. Claudia ist mit der ganzen Family Freitag Abend mit Sun-Express eingeflogen und genießt seit dem die Stadt. Und ich die Familie!
Und dabei sind auch gleich ein paar Dinge passiert, die man eigentlich in Istanbul für unmöglich halten würde. Zum einen ist es merklich kühler geworden (man versichert mir aber, dass das völlig abnormal wäre und man die letzten November durchwegs am Strand verbracht habe) und die Stadt ist am vergangenen Samstag wirklich mal zur Ruhe gekommen. Ein kausaler Zusammenhang besteht allerdings nicht, auch wenn sowohl das Eintreffen von meiner Schwester und die merkliche Abkühlung zeitglich passiert sind. Vielmehr war Samstag der Tag der türkischen Republik-Gründung. Nähere Infos dazu findet ihr hier. Ich hatte das vorher schon erfahren und war zugegebenermaßen recht gespannt, was nun passieren würde. Innerlich hatte ich mich schon auf ausufernde Militärparaden im Stile des 14. Juli oder der Okotberrevolution eingestellt. Mangels rotem Platz und fehlenden Champs Ellysée fiel aber beides aus. Dafür hängen die Türken aber wirklich überall ihre Landesflagge auf und aus jedem noch kleinen Fenster blitzt das rote Tuch mit Halbmond und Stern. Recht dekorativ. Und auch recht beeindruckend, wenn Tuchgröße irgendwann in Hektar gemessen werden kann. Die größeren Exemplare hängen dann von den Bospurusbrücken oder zieren die Fassaden der Wolkenkratzer. Ich hab mir lange überlegt, wie man sowas wohl wieder einsammelt oder einholt. Ich hab zwar keine Lösung gefunden, bin mir aber sehr sicher, dass ich garantiert nicht für diesen Job in Frage käme. Man stelle sich das mal vor. Alleine an mehreren hundert Quadratmetern Tuch ziehen, die wild vom Wind gerüttelt werden. Und das ganze in mehreren hundert Meter Höhe, direkt über dem Meer. Wer jetzt meint, dass man das ja vom Spibergen her können müsse, sei daran erinnert, dass eine Flagge und ein Spi sicherlich nicht aus dem gleichen Tuch sind und dass man den Spi meistens an Deck und nicht im Masttop birgt. Und ich habs auch noch nie erlebt, dass beim Spibergen 1000 wilde Autos hinter einem eine Art privater Formel1 austragen. Seis drum, ich werde auf jeden Fall Bericht erstatten, wenn die Flaggen wieder weg sind und ob was dabei passiert ist…
Der Feiertag sorgte auch dafür, dass die Museen alle zu waren und sich unser Touriprogramm etwas verknappte. Basar war klarerweise auch Fehlanzeige. Hätte ich nie gedacht, aber beim nationalen Bewusstsein, stopt sogar der Verkaufsdrang… Nunja! Da haben wohl die Flaggenhändler in den Tagen davor genügend Umsatz gehabt, so dass man dann einfach alles zumachen konnte…
Beachtenswert ist ja auch die Verehrung, die hier dem Staatsgründer Mustafa Kemal entgegen gebracht wird. An jeder Ecke und in jedem offiziellen Gebäude gibt es Bilder vom Gründer der modernen Türkei. Während ein paar Bilder immer gleich sind und den Vater aller Türken (=Atatürk, der heutige Name ist nämlich erst post-mortem verliehen worden) in bekannten Posen zeigen, finden sich aber auch immer wieder ein paar Bilder, die ihn jenseits der staatstragenden Posen, als liebevollen Vater, Onkel oder Opa zeigen. Ich stelle es mir als Herausforderung vor immer wieder neue Bilder zu finden, die man dann für diese Ikonen nutzen kann. Sicherlich gibt es in Ankara eigens dafür ein Archiv oder sogar ein Ministerium, das sich mit dieser Frage näher beschäftigt. Auf jeden Fall bin ich sehr beeindruckt und vor allem auch sehr vorsichtig, wenn ich mit Türken über Atatürk spreche. Denn ein falsches Wort oder eine falsche Geste könnten unangenehme Folgen haben. Eine Beleidigung oder Verunglimpfung des Staatsgründers wird gesetzlich geahndet. Und als eine solche würde laut Reiseführer schon das Markieren oder Beschreiben von Geldscheinen mit dem Antlitz Atatürks verstanden werden. Entsprechend sauber ist auch das Geld, da der Herr General auf fast jedem Lira-Schein abgebildet ist… Seis drum, ich finde ihn sehr sympathisch und bin auch von der Vita sehr beeindruckt. Es gibt sicherlich wenige Menschen (mir fällt spontan nur noch de Gaulle ein), die vergleichbares im 20. Jhd. geschaffen haben.
Das Wochenende wird noch weiter aufgearbeitet und ich werde euch im Laufe der Woche weiteres berichten. Wir haben viel erlebt, den Bewegungsradius weiter vergrößert und die unsere Busexpertise weiter erhöht. Im Kampf mit den (irgendwann wieder aktiven) verhandlungsstarken Basarverkäufern wurden erste Etappensiege erreicht und die Kultur kam auch nicht zu kurz… Dazu gibt es jede Menge tolle Bilder…
Deswegen schaut bald wieder rein! Bis dahin, hosca kalin, gülle gülle und auf Wiedersehen!
Euer Raoul (Interimssultan)