Babyface und die 1000 Räuber

On 21. Oktober 2011 by rkuebler

Donnerstag früh. Koen hat mir für die Woche freigegeben und Kathi ist da. Früh raus schaffen wir nicht, da die Nacht lang war und wir uns noch von der abenteuerlichen Rückfahrt vom Flughafen erholen. Um 11 geht es mit dem Taksi runter nach Üsküdar zur Fähre und dann bei strahlendem Sonnenschein mit dem Feribot rüber nach Europa. Eine Fährfahrt pro Person kostet 2 Lira. Das sind ca. 80 Cent.
Irre, oder? Und die Boote sind in einem super Zustand, bieten viel Platz und rauben einem mit ihrem Ausblick für 20 Minuten den Atem. Wir wollten eigentlich nach Besiktas, kommen aber schon direkt am Goldenen Horn am südlichen Ende der Galata-Brücke an. Prima, so ein Irrtum spart einem gleich mal 30 Minuten laufen und wir können direkt in die wirkliche Altstadt von Istanbul durchstarten.

Bevor wir uns ins Getümmel werden, steuere ich aber noch den ersten Turkcell laden an und mache unseren Plan von gestern Abend wahr. Handykarte kaufen und Internet abbonieren. Was genau das kostet, bleibt im türkisch-deutsch-englischen Dialog zwischen uns und fünf sehr engagierten Vertriebsmitarbeitern leider ungeklärt. Dafür funktioniert jetzt mein iphone super im lokalen Netz und bombardiert mich alle 10 Minuten mit unverständlichen Nachrichten und Angeboten von Turkcell. Seis drum. Das Leben mit den Dingrn ist echt deutlich einfacher. Vor allem frage ich mich, was man hier so ohne Smartphone machen würde. Das Ding übersetzt mir alles, zeigt mir wo ich bin und wie ich nach Hause oder anderswo hinkomme, sagt mir wo Stau ist, welchen Bus ich nehmen soll und so weiter… das erste Mal, dass ich froh bin, dass ich mir das Ding dieses Jahr doch noch gekauft habe. Bzw. endlich der erste wirklich Grund für die Anschaffung von dem Ding…

Dank Internetnavigation verlaufen wir uns dann auch gleich mal richtig, landen aber doch noch irgendwie (und mit analogem Stadtplan) auf dem großen Basar. Während Kathi immer in Angst davor angesprochen zu werden hektisch durch alle Gassen rasst, bremse ich immer wieder und staune über die verschiedenen Angebote. Lüis Vüiton, Prüda, Gücci, Cüccu Chünnel, Rülph Lüren und la Martüna in Hülle und Fülle, daneben feinster Goldschmuck und wunderschöne Antiquitäten (oder solche, die es sein wollen). Am Ende schauen Kathi und ich uns ein paar Pashmina Schals ein paar Sekunden zu lange an und Kathis tiefste Ängste werden in Form eines jungen und witzigen Verkäufers zur Realität. Diese schleppt uns dann auch gleich in irgendein Bazarzimmer, in dem jede Menge Iranerinnern und Russinen schon wild Seiden- und Cashmere Schals mit Louis Vuitton Muster und Gucci Logo probieren. Der Herr erkennt schnell, dass wir viel zu schade für plumpe Imitate aus billigem Polyester-Woll-Gemisch sind. Also wird gleich die richtig große Ware wild um Kathi drapiert. Mein Interesse für einen lilalen und billigen Lüis Vüitton wird mit dem Kommentar “that gay!!!” zu nichte gemacht. Ich seh schon, das wird nicht billig. Nun gut. Kathi spielt prima mit. Thousands Kisses, ein paar wenige Lira und Babyface (also Kathi) dürfe ihre ganzen Schals mitnehmen, bei Heirat sogar alle so bekommen, ich müsse mich aber mit der Zahlung von 600 Lira abfinden. ALTER! Ich glaube es hackt. Insgeheim hatten Kathi und ich uns vorher  auf nicht mehr als 300 Lira bei 3 Schals festgelegt. wir drücken den Preis Kiss um Kiss, Babyface entpuppt sich als härter Verhandlungsparternerin, als sich Adbul hat träumen lassen und am Ende verlassen wir den Shop mit gutem Gewissen und einem Preis, der uns ganz gut erscheint. Mit Sicherheit aber wird unser armer Händler nicht am Hungertuch nagen müssen, auch wenn er das immer wieder betont hat.

Und die Qualität stimmt. Am entzündeten Demoschal wurde uns demonstriert, dass definitiv “Nixü Polyster” Sache sei. Dazu wurde am Plüschmodell einer Cashmereziege demonstriert, dass unsere Schals defintiv aus dem Halsfell der Ziege und nicht etwa wie anderswo mit Wolle aus dem rektalen Bereich gewebt wurden. Ob der angezündete Schal und die unseren baugleich waren, wissen wir nicht, angezündet haben, wollten wir sie dann auch nicht. Und inwieweit das alles wie versprochen Handmade ist, wagen wir auch nicht nachzuforschen.

Bewaffnet mit Schals und meiner einer mit der Sicherheit “nix gay, look good!” wandern wir also weiter über den Bazar. Irre Sachen noch gesehen. Wunderschöne Tabletts aus Silber, elegante türkische Teegläser, unglaubliche Goldschmuckarbeiten und teils Goldauslagen, dass es einem in den Augen blendet. Dazwischen aber auch jede Menge Kitsch und Tourinepp. Fes, Turbans, Kleiner-Muck-Schuhe und eine reichhaltige Auswahl an osmanischen Krummschwertern, die alle schon mal von Sultan Mehmed persönlich getragen wurden. Wir lassen uns durch den Trubel nach draussen auf die unüberdachten Teile des Bazars treiben. Hier fühlt man sich dann gleich wie in der Kulisse zu Indiana Jones oder Alibaba. Rings um uns rum nur noch Türken, wir überragen lässig alle anderen und genießen den Ausblick auf osmanische Brautmoden, Röschenbettwäsche und so weiter. Kathi merkt an, dass man hier wohl besser auf den Polyesterbrenntest verzichten sollte. Dafür ist alles spottbillig! Bemerkenswert: Wir werden hier nie angesprochen und können in Ruhe alles bestaunen.

Um einige Lira ärmer und zumindest ich um ein schlechtes Gewissen reicher, wollen wir jetzt doch noch was für die Bildung tun. Wir tigern gemeinsam nach Süden in Richtung Hagia Sophia und blauer Moschee. Die zunehmende Dichte an Starbucks und Burger Kings macht deutlich, dass wir auf dem richtigen Weg sein müssen. Als wir einmal kurz vor einem Starbucks staunend stehen bleiben, werden wir auch gleich von ein paar Amis angesprochen, wo denn der nächste Nikon Shop sei. Haha! Ich hatte wirklich irgendwo am Bazar einen gesehen und heuchle dem Ami totale Ahnung vor indem ich ihn um ein paar Ecken herum in den Bazar lotse. So bekommt der arme Mann wenigstens auch mal ein bisschen das Gefühl mit, dass ich auf der asiatischen Seite des Bospurus täglich spüren darf: völligen Kontrollverlust!

Die Hagia Sophia kündigt sich durch eine große Warteschlange an. Daneben fleißige Türken, die den wartenden anbieten, dass man für ein paar Lira an der Schlange vorbei geführt wird. Ob es klappt haben wir nicht rausbekommen. Die Japaner vor uns, die auf englisch diskutierten, dass man laut Reiseführer wohl im Schnitt 60 Minuten zu warten habe und daher diesem Angebot nachgaben, haben wir nicht mehr wieder gesehen. Weder in der Schlange noch in der Hagia Sophia. Unsere Schlange war nach der nächsten Ecke und 5 Minuten warten schon zu Ende. Für 20 Lira kommt man in das heutige Museum. Die Hagia Sophia selbst ist beeindrucken, allerdings wirkt sie deutlich kleiner, als auf all den Bildern, die man so sieht. Infos zur Kirche/Moschee und dem heutigen Museum findet ihr hier. Trotzdem ein beeindruckender Bau. Endlich kann ich mal die Vorteile des 50mm 1.8 Nikkors ausspielen und knipse wie ein wilder. Anbei findet ihr die ersten Impressionen. Highlight: die schwitzende Säule. Daran zu erkennen, dass sich immer mindestens fünfzig Touris drum rum drücken und einer nach dem anderen seinen Finger in ein Lock reinsteckt und sich verdrängt. Kathi sorgt auch gleich mal für die Zukunft vor und schafft dank Yoga auch auf Anhieb die geforderte 360° Drehung der Hand fließend. Auf meine Rückfrage, ob das Ding wirklich schwitzt, bekomme ich nur die juristische Antwort, dass es feucht sei, man aber klarerweise nicht völlig klären könne, ob das jetzt an der Säule oder den schwitzigen Händen der Bittsteller läge. Ich habe darauf dann auf einen Wunsch verzichtet.

Wir sind noch lange durch diesen beeindruckenden Bau gewandert und haben ohne Audioguide einfach jede Menge tolle Eindrücke gesammelt. Faszinierende byzantinischen Mosaiken, ein armer türkischer Wärter, der im Sekundentakt “no flashlight” schreit und beeindruckende Aussichten von den kaiserlichen Logen aus auf die blaue Mosche, alles lässt uns staunen.

Irgendwann spuckt uns der Touristrom wieder aus und wir landen auf dem Zwischenplatz zwischen Top-Kapi-Palast, Hagia Sophia undBlauer Moschee und genießen die tolle Aussicht auf diese drei bekannten Bauwerke.  Wir zögern länger, bis wir beschließen, dass wir den Palast samt Haremsbau ausklammern und dafür die Sultan-Ahmed  Moschee besichtigen wollen. Auf dem Weg dorthin mache ich noch ein paar Aufnahmen von der Hagia Sophia, nur um heute zu sehen, dass genau die gleichen Bilder auch schon bei wikipedia hinterlegt sind.

Der Effekt bei der blauen Moschee ist ähnlich wie bei der Hagia Sophia. Aus der Nähe betrachtet finde ich die Größe wieder enttäuschend und eher klein. Irgendwie komisch, dass der Islam die Prunksucht unserer christlichen Kathedralenbauer irgendwie ignoriert hat. Der Innenhof ist beeindruckend, ebenso wie die von  mir frisch getauften Muslimraketen, die langläufig wohl als Minarett bezeichnet werden. Wir sind pünktlich zum Nachmittagsgebet da und kommen daher nicht mehr in die Moschee rein, genießen aber den Ruf des Muezzins im Hinterhof der Moschee. Kathi denkt dabei viel nach und ist sichtlich beeindruckt.

Für den ersten Tag haben wir genug Europa und bummeln langsam wieder Richtung Fähre, mit der wir wieder zurück nach Asien fahren. Lustigerweise treffen wir auf Eddas alten Kreuzfahrer, die Astor, die direkt unter dem Galataturm festgemacht hat. Asien heißt uns mit der altbekannten Wuseligkeit willkommen. Gefühlt hundert Busse stehen am Kai und uns bleibt es rätselhaft, welcher denn uns nun nach Hause bringen könnte. Also Füsse in die Hand und mutig bergauf. Schnell sind wir wieder die einzigen Ausländer, um uns rum nur einheimische, die durch die typischen türkischen Läden und Einkaufsstrassen tigern. Die Füsse werden immer schwere, aber wir genießen das Flair und schaffen es trotz Handy uns immer wieder zu verlaufen. Am Ende kommen wir aber doch wieder kurz hinter der Bospurusbrückenautobahn an der OzyeginUni an. An “meiner” Bushaltestelle rätseln wir nun, welchem Bus wir vertrauen sollen und lassen zur Vorsicht erst einmal ein paar vorbei. Dank Rush Hour sind auch alle echt gut besetzt, sodass ein gemeinsames Einsteigen schwer wird. Mit zunehmender Wartezeit wird uns dazu klar, dass Barzahlen im Bus auch nicht möglich ist. Irgendwann pressen wir uns in einen vertrauenserweckenden IETT Bus, lächeln den Fahrer an, der unser Bezahlproblem elegant löst und einen Mitfahrer bittet mittels seinem Chip für uns zu bezahlen. Der nette Helfer verweigert dann sogar noch, dass wir ihm unser Bargeld geben! Wow, das ist eben asiatischer Gemeinsinn! Vielen Dank!

Irgendwann kommt mir die Gegend noch bekannter vor und wir drängen uns Richtung Ausgang. Tatsächlich erwischen wir sogar die richtige Haltestelle. Nach kräftigem Ausschnaufen und Adrenalinabbau geht es dann in meinen schon entdeckten Baklava Laden.  Während wir uns etwas aus den  verschiedenen

Köstlichkeiten aussuchen, gibt es gleich auch noch Tee aufs Haus und wir genießen den gelungenen Tag. Der restliche Heimweg bringt noch Lahmacun, Pide und lecker Grillspieß.

Müde fallen wir schnell ins Bett…

Liebe Grüße aus Asien,

Kathi und Raoul

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